Zeitschrift der ÖSG, Jahr 2004, Heft 1

Sportliches Engagement und Entwicklung im Kindesalter. Eine Längsschnittstudie
Sport Involvement and Development During Childhood. A Longitudinal Study

Erin Gerlach & Wolf-Dietrich Brettschneider

Zusammenfassung
Das Bild von Kindern und Kindheit in der Öffentlichkeit ist widersprüchlich. Es dominieren Auffassungen, die die nachwachsende Generation mit einem sorgenvollen Blick betrachten. In der sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung dagegen werden Kinder als aktive und kompetente (Mit )Gestalter ihrer eigenen Entwicklung betrachtet. Die Frage, ob und wie ihre Entwicklung von sportlichem Engagement beeinflusst wird, ist weitestgehend unbeantwortet. Hier will der vorliegende Beitrag eine Lücke füllen. Der Artikel berichtet Befunde einer Evaluationsstudie, die sich mit dem Zusammenhang zwischen sportlichem Engagement und Entwicklung im Kindesalter befasst. Im so genannten „Paderborner Modell der Talentsichtung“ werden drei Gruppen von Kindern ermittelt: (1) Sportliche Talente, (2) eine große Gruppe an Kindern, die sportlich interessiert aber ohne besonderes sportliches Talent sind, sowie (3) Kinder, die kompensatorischer Sportangebote bedürfen. Um eine Analyse intra- und interindividueller Entwicklungsverläufe dieser drei Gruppen vorzunehmen, operiert die Untersuchung mit einer längsschnittlichen Fragebogenerhebung über zwei Messzeitpunkte im Abstand von 15 Monaten. Die Ergebnisse zeigen einen Einfluss sozialer Determinanten auf das Sportengagement (Geschlecht, Bildungsaspiration, Nationalität). Mit größerem Talent steigt das Sportengagement der Kinder, die soziale Determiniertheit des Sportengagements aber verschwimmt. Die Ergebnisse zur Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit zeigen ein bemerkenswert einheitliches Muster. Die sportlich talentierten Kinder berichten ein höheres psychosoziales Wohlbefinden und Selbstkonzept, sie sind sozial integrierter und zeigen bessere Schulleistungen. Besonders die Mädchen profitieren von ihrem sportlichen Talent und Engagement. Zusammenfassend distanzieren sich die Autoren vom allgemeinen Defizitdiskurs, der in kulturpessimistischer Perspektive das Aufwachsen von Kindern sorgenvoll betrachtet. Es bleibt der Eindruck bestehen, dass es den meisten Kindern außerordentlich gut gelingt, Belastungen und eigene Bedürfnisse in ihrem Alltag im Gleichgewicht zu halten.
Abstract
The picture of children in our society is ambivalent. Whereas the young generation is seen from a rather worried point of view in the public. In the social sciences children are regarded as active and competent producers of their own development. The question whether und to what degree this development can be influenced by physical activity and sport remains widely unanswered. Thus, the present contribution wants to fill a gap. The article reports findings of a research project on the relationship between sport involvement and development in children. The so-called „Paderborner Modell der Talentsichtung“ (talent program of the city of Paderborn) identifies three groups of children: (1) sports talents, (2) a big group of children who are interested in sport, but without particular talent, and (3) children with recommendations for compensatory sports. In order to analyze intra- and interindividual developments, longitudinal data were assessed by questionnaires. Children in all groups were asked to fill in the questionnaire at two points of measurement in a 15-month interval. The results indicate a strong influence of social determinants for sport involvement (sex, academic career, ethnicity). With growing talent the sport involvement-rate also increases, but the influence of social determinants disappears. The findings of children’s personality development show a remarkably similar pattern. The talented children score higher on psycho-social well-being and on self-concept, they are more socially integrated und have better school grades. Especially girls profit from their sport involvement. In contribution, the findings provide the impression, that most children are able to cope with stress and the demands of everyday life in a competent way.

Valid XHTML 1.0 Strict